ETU-News im Oktober

Europa ist Vorreiter
Ein Interview mit Chakir Chelbat

Heutzutage ist Chakir Chelbat vor allem für seine Arbeit als Vorsitzender des World Taekwondo Para Taekwondo Komitees bekannt. Vor Kurzem war er zusammen mit seinem großartigen Team im Para Taekwondo Komitee für die Einführung der Para Grand Prix Serie verantwortlich. Er war der Technische Delegierte (TD) für Taekwondo bei den ersten historischen Paralympischen Spielen 2020/21 in Tokio und wurde letzten Monat zum Technischen Delegierten für die kommenden Paralympischen Spiele Paris 2024 ernannt.

Obwohl er mit der rasanten Entwicklung des Para-Taekwondo sehr beschäftigt ist, ist Chakir Chelbat auch als Vorsitzender des Kampfrichterausschusses der Europäischen Taekwondo Union (ETU) aktiv. Wir hatten die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.

TA: Herr Chelbat, in letzter Zeit gab es einige wichtige Änderungen in Bezug auf die Berechtigung von internationalen Kampfrichtern – IRs – für die G-Class und andere von der World Taekwondo und European Taekwondo Union sanktionierte Veranstaltungen. Könnten Sie erklären, in welcher Hinsicht die Regeln geändert wurden und warum?

Chakir Chelbat: Nach jedem olympischen und paralympischen Zyklus überprüft die Führung von World Taekwondo (WT) die Organisation, die Struktur, die Regeln und das Reglement der letzten vier Jahre. Dies ist der normale Prozess für eine gute WT-Führung.

Unter der Leitung unseres WT-Präsidenten Dr. Choue nehmen die Mitglieder der Technischen Kommission zusammen mit unserem leitenden Direktor für die Sportabteilung, Jay Lee, an mehreren technischen Sitzungen teil. Wir machen ein Brainstorming und gehen die Anregungen und Rückmeldungen unserer WT-Interssengruppen, Trainer, Athleten, Kampfrichter, MNAs usw. durch. Wir überprüfen und bewerten die Wettkampfregeln und erörtern, ob es Verbesserungsbedarf gibt, damit Taekwondo auf einem so hohen Niveau bleibt und in der olympischen und paralympischen Bewegung besteht.

Dieser Verbesserungsprozess wird in allen WT-Ausschüssen durchgeführt. Neue Änderungsvorschläge werden dem WT-Vorstand und der Mitgliederversammlung zur Genehmigung vorgelegt.

Es gab auch einen neuen Änderungsvorschlag für das Thema Kampfrichter, der dem hier eingebracht wurde.

Schauen wir uns das doch gemeinsam an, um das System besser zu verstehen:

Zunächst müssen wir verstehen, dass alle internationalen Kampfrichter auf der ganzen Welt und auf jedem Kontinent World Taekwondo-Kampfrichter sind. Wir müssen unseren Pflichten mit Stolz und Würde nachkommen, und alle IRs müssen die WT-Wettkampfregeln und -Vorschriften mit einem Höchstmaß an Fairness und Transparenz befolgen und anwenden.

Die Kampfrichter müssen ein sehr gutes Verständnis der WT-Wettkampfregeln und -bestimmungen haben. Sie müssen auch die internationalen WT-Kampfrichter-Verwaltungsvorschriften und den Ethik-Kodex mit den Schutzrichtlinien einhalten und respektieren. Dies dient dem Schutz und der Förderung unseres geliebten Taekwondo-Sports.

Alle internationalen Kampfrichter werden gebeten, alle drei Jahre an den WT-Kampfrichter-Auffrischungskursen teilzunehmen, um qualifiziert zu sein, bei allen WT-Veranstaltungen zum Einsatz zu kommen.

In der Vergangenheit durften die internationalen Kampfrichter überall amtieren, wo sie wollten, sobald sie den Auffrischungskurs besucht hatten. Es gab kein „Bestehen“ oder „Nichtbestehen“ des Kurses, da es sich nur um eine Auffrischung handelte.

TA: Selbst wenn sie durchgefallen sind, konnten sie also an G1- oder G2-Turnieren teilnehmen?

Chakir Chelbat: Ja, in der Vergangenheit konnten sie das, denn es gab kein Bestehen oder Nichtbestehen, aber heute ist das nicht mehr möglich, denn nach der WT-Änderung der Wettkampfregeln sind nur diejenigen, die den internationalen Kampfrichter-Auffrischungskurs im Jahr 2022 – ab dem 1. September – abgeschlossen haben, berechtigt, als Kampfrichter für die von der WT geförderten und anerkannten Veranstaltungen nominiert zu werden. Nach der neuen Regelung der IR-Verwaltung darf ein internationaler Kampfrichter, der die Prüfung im IRRC nicht bestanden hat, auch nicht für WT-geförderte Veranstaltungen nominiert werden.

Unter der Leitung von WT-Präsident Dr. Choue hat sich der WT in allen Bereichen stark verbessert. Ein Beispiel ist die WT-Ausbildungsabteilung unter der Leitung von WT-Senior-Direktor Dr. Jung-Seok Yoo, der sich sehr für die Entwicklung und Verbesserung der WT-Ausbildung in vielen Bereichen einsetzt. Er weiß, dass Verbesserungen notwendig sind, um die Qualität der IR-Ausbildung zu verbessern und mehr ausgebildete Kampfrichter zu stellen. Er stimmt zu, dass die Kampfrichter nach dem Auffrischungskurs geprüft werden müssen und dass sie den Test bestehen müssen, um eingeladen zu werden. Wir alle wissen, dass unsere Trainer und Sportler sehr hart arbeiten, um ihre Athleten vorzubereiten, und wir brauchen müssen deshalbdie besten IRs einladen; wir brauchen Kampfrichter mit dem besten Wissen und den besten Fähigkeiten, um Matches leiten.

Ich bin sehr froh, dass die Regeln und das Reglement der WT in dieser Hinsicht bereits geändert wurden.

TA: Ich habe gehört, dass Sie in Europa einen Schritt weiter gehen und ein Ranking-System für IRs einführen wollen. Können Sie uns etwas darüber berichten?

Chakir Chelbat: In Europa haben wir etwa 870 IRs. Wir haben auch die meisten G-Ranglisten-Turniere der Welt: Jedes Jahr finden bei uns etwa 23 G1-Turniere und etwa 14 Europameisterschaften statt. Das Reisen ist in Europa relativ einfach und erschwinglich, so dass die IRs viele Möglichkeiten haben, sich zu verbessern. Unsere Athleten arbeiten unglaublich hart, und es ist wichtig, dass sie wissen, dass sie von Kampfrichtern bewertet weden, die nicht nur mit den neuesten Regeln und Vorschriften vertraut sind, sondern auch gut ausgebildet und erfahren sind. Wir wollen nur Kampfrichter, die bereit sind, die große Aufgabe zu übernehmen, die es bedeutet, als Kampfrichter auf dem Platz zu stehen.

Es ist wichtig, dass nur Kampfrichter zu den G1-Veranstaltungen eingeladen werden, die dafür qualifiziert sind. Wir informieren die Kampfrichter-Vorsitzenden der einzelnen MNAs (nationalen Mitgliedsverbände) darüber, da sie für die Einladung der Kampfrichter zuständig sind.

Unter der Führung unseres Präsidenten Sakis Pragalos hat Europa in vielen Bereichen des Taekwondo Pionierarbeit geleistet. Präsident Pragalos beauftragte mich, den ETU-Vorstandsmitgliedern das Konzept vorzustellen, und sie stimmten zu, das ETU-Kampfrichter-Ranking-System für Europa zu schaffen.

TA: Wird dies ein unabhängiges, rein europäisches System sein?

Chakir Chelbat: Ja, es ist ein internes System in Europa, aber wir arbeiten natürlich mit dem WT zusammen. Der WT teilt uns mit, welche Kampfrichter die IR-Auffrischungskurse bestanden haben. Dies ist bereits ein Filter für IRs, die den IR-Auffrischungskurs des WT nicht bestanden haben. Diejenigen, die nicht bestanden haben, können nicht am ETU-Kampfrichter-Ranking teilnehmen.

Wir haben auch andere Kriterien für das ETU-Kampfrichter-Ranking-System, die dem ETU-Vorstand bei seiner nächsten Sitzung vorgestellt werden.

Mit dem europäischen Kampfrichter-Ranking-System werden wir ein Instrument haben, das sicherstellt, dass nur die besten Kampfrichter zu den Spitzenveranstaltungen eingeladen werden. Da wir etwa 14 Europameisterschaften haben – für Kinder, Kadetten, Junioren, Senioren, Vereine und so weiter – haben wir viele Möglichkeiten, guten Kampfrichtern eine gute Chance zu geben, auf diesem Niveau zu amtieren.

TA: Können Sie uns sagen, wie das Auswahlverfahren der IR funktioniert?

Chakir Chelbat: Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass das Auswahlverfahren für IRs keine One-Man-Show ist.

Die Kampfrichter müssen sich auf tkdreferee.com für jede Veranstaltung registrieren, bei der sie als Kampfrichter eingesetzt werden möchten. Die Registrierung bedeutet nicht, dass man eingeladen wird, sondern dass man zur Verfügung steht, wenn man ausgewählt wird.

Gemäß den Anweisungen und Hinweisen unseres Präsidenten berufe ich in meiner Eigenschaft als Kampfrichterobmann nach Ablauf der Anmeldefrist die Mitglieder des ETU-Kampfrichterausschusses zu einer Sitzung ein, um die Kampfrichterliste zu prüfen. Gemeinsam wählen wir die Kampfrichter für jede Veranstaltung aus.

Sobald der Ausschuss die Liste fertiggestellt hat, schicken wir die Vorschlagsliste zur Genehmigung an den Präsidenten. Wenn die Liste genehmigt ist, übermittelt der Präsident die genehmigte Liste an den Generalsekretär und den Sportdirektor. Das ETU-Verwaltungsbüro verschickt die Einladungen an die ausgewählten Kampfrichter.

Ich bin sehr stolz auf dieses faire und transparente System.

Wenn wir das Kampfrichter-Ranking eingeführt haben, werden wir natürlich ein besseres Instrument für unsere Entscheidung haben.

TA: Wann wird die Rangliste eingeführt und wird sie für jeden einsehbar sein?

Chakir Chelbat: Wir planen, die Rangliste auf der nächsten ETU-Vorstandsitzung vorzustellen und sie Anfang nächsten Jahres einzuführen. Sie wird auf der ETU-Website veröffentlicht werden, vergleichbar mit dem von der WT veröffentlichten Ranglistensystem für Athleten. Die Liste wird sich von Monat zu Monat ändern, da die Kampfrichter bei Auffrischungskursen Punkte sammeln, an Turnieren der G-Klasse teilnehmen und so weiter.

In Europa sind wir glücklich und gesegnet, dass wir so viele Meisterschaften haben und dass das Reisen einfach ist. Für die meisten Länder braucht man kein Visum und die Flugtickets sind günstig, wenn man sie rechtzeitig kauft. In Asien ist das viel schwieriger und in Afrika zum Beispiel noch schwieriger wegen der Visaprobleme, der Kosten für Flugtickets usw.

In Europa haben unsere Kampfrichter die Möglichkeit, zu üben und viele Erfahrungen zu sammeln, was sich auf das Niveau unserer Kampfrichter auswirkt. Das ist auch der Grund, warum europäische Kampfrichter oft zu WT-Veranstaltungen und anderen Großveranstaltungen eingeladen werden. Ich bin dankbar für die Führung von Präsident Pragalos; es ist großartig, dass er und WT-Präsident Dr. Choue eng zusammenarbeiten und dieselbe Vision teilen.

TA: Nun, da ich die Gelegenheit habe, mit Ihnen zu sprechen, möchte ich ein anderes Thema ansprechen. Sie wurden zum zweiten Mal als Technischer Delegierter für die Paralympischen Spiele ernannt und werden dieses Amt bei Paris 2024 ausüben. Was sind Ihre Gedanken zu diesem Anlass?

Chakir Chelbat: Ich fühle mich sehr geehrt. Ich habe zum ersten Mal bei den historischen Paralympischen Spielen 2020/21 zusammen mit unserem besten und großartigen Team gedient. Ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass wir gemeinsam einen großartigen Job gemacht haben. Der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees Andrew Parsons besuchte die Taekwondo-Wettkämpfe zusammen mit unserem Präsidenten Choue und beide waren sehr zufrieden mit den Taekwondo Paralympischen Spielen Tokio 2020/21.

In Paris waren 72 Athleten und sechs Medaillenwettbewerbe vorgesehen. Wir haben hart gearbeitet und es geschafft, einen Antrag zu stellen, diese Zahl auf 120 Athleten und zehn Medaillenwettbewerbe zu erhöhen; fünf bei den Männern und fünf bei den Frauen. Ich bin Dr. Choue für seine große Unterstützung für Para Taekwondo und der IPC-Führung dankbar, die unserem Antrag stattgegeben hat. Tatsächlich hat Para Taekwondo jetzt mehr Medaillenwettbewerbe als die olympischen Wettkämpfe der Nichtbehinderten.

Kurz gesagt, Para Taekwondo ist ein aufregender Sport und wir haben viel erreicht, aber es gibt auch noch viel zu tun!

TA: Welche Pläne haben Sie im Moment?

Chakir Chelbat: Ein wichtiges Thema ist die weitere Unterstützung der Gleichstellung der Geschlechter. Wir werden im März oder April 2023 mit dem Kampfrichterauswahlverfahren für die Paralympischen Spiele 2024 in Paris beginnen. Wir streben 15 weibliche und 15 männliche Kampfrichter an. Erwähnenswert ist auch, dass wir einen Platz für geflüchtete Para-Athleten haben werden. Das IPC ist sehr glücklich über das Para-Taekwondo-Programm, und dank unseres Präsidenten Dr. Choue und seiner Vision werden Flüchtlingssportler und Para-Athleten zu paralympischen Champions.

Auch in Europa wächst Para Taekwondo dank der Unterstützung von ETU-Präsident Pragalos kontinuierlich.

Das Ranglistensystem für Para Taekwondo-Athleten wächst weltweit und nach jedem Wettkampf kommen neue Länder hinzu. Bei der letzten Para-Veranstaltung in Sao Paulo/Brasilien haben sich drei neue Länder angemeldet und sind der WT Para Taekwondo beigetreten.

Als TD wurde ich zu einer Besichtigung des Austragungsortes der Taekwondo-Wettbewerbe in Paris, dem Grand Palais, eingeladen und war sehr beeindruckt. Es ist derselbe Ort, an dem auch die Wettkämpfe der Nicht-behinderten stattfinden werden. Ich denke, wir können uns glücklich schätzen, dass es unserer Führung gelungen ist, diese großartige Arena für unseren spannenden Wettkampf zu bekommen. Ich bin sicher, dass wir in Paris einen schönen Wettkampf erleben werden. Wir tun unser Bestes, um Para-Taekwondo als eine der besten Sportarten im paralympischen Programm zu erhalten. Tokio war gut, aber Paris wird noch besser sein! Wir arbeiten immer daran, die Dinge zu verbessern.

TA: Gibt es etwas, das Sie gerne hinzufügen würden?

Chakir Chelbat: Ich möchte WT-Präsident Dr. Choue und ETU-Präsident Pragalos dafür danken, dass sie an mich glauben. Beide geben mir die Möglichkeit, mich in meiner Rolle in Europa als Kampfrichterobmann und im WT als erster WT-Kampfrichterobmann und derzeit als WT Para Taekwondo Committee Chair weiterzuentwickeln.

Ich bin dankbar für die Gelegenheit, erstaunliche Menschen zu treffen und mit ihnen zu arbeiten.

In diesem Zusammenhang möchte ich meinen großen Dank an mein großartiges Team im Para Taekwondo Komitee aussprechen, das Tag und Nacht mit mir arbeitet und zum Erfolg unseres Sports beiträgt.

Danke an meine wunderbaren Kollegen in der ETU und WT.

Danke an unseren WT-Generalsekretär, Herrn Seo Jeon Kang, unseren leitenden Sportdirektor, Herrn Jay Lee, und unseren leitenden Bildungsdirektor, Dr. Yoo Jeon Seok.

Danke an unseren Generalsekretär, Herrn Barbarino, für Ihre kontinuierliche Unterstützung.

Ich danke meinen Kollegen, dem Sportdirektor Ioannis Moroutsos, dem technischen Direktor Usman Dildar und dem Vorsitzenden des Games-Komitees Ali Sagikaya. Und natürlich an die ETU-Vorstandsmitglieder. Sie alle sind ein Team hinter unserem Präsidenten Pragalos und tragen zum Wohl des Taekwondo in Europa und weltweit bei.